Alfred Wüger im Gespräch mit Andreas Textor, Präsident des Synodalrats der Römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Schaffhausen| 20. September 2023 Schaffhauser Nachrichten

Nur innerhalb der Kirche könne er sich für einen Wandel einsetzen, sagt Andreas Textor.

Andreas Textor, der Präsident des Synodalrats der römisch-katholischen Kirche Schaffhausen, sagt, was strukturell zu tun ist: «Zur Vermeidung von Missbrauchsfällen ist insbesondere das Personalwesen zu professionalisieren und der Informationsaustausch zwischen dem Bischof und den Anstellungsbehörden zu verbessern.»

Der Synodalrat der römisch-katholischen Kirche Schaffhausen ist die Exekutive der Kantonalkirche. Mindestens ein Mitglied der Exekutive muss Priester oder Diakon sein. Aufgaben sind die Vertretung der Kantonalkirche nach aussen und die Oberaufsicht über Kirchgemeinden. Der Präsident des Synodalrats, Andreas Textor, äussert sich zu Missbrauchsfällen.

Herr Textor, was geht in Ihnen vor, wenn Sie an die Studie der Universität Zürich denken? 1000 sexuelle Missbrauchsfälle in 70 Jahren.

Andreas Textor: Die Erkenntnisse der Missbrauchsstudie beschäftigen mich sehr. Obwohl vieles nicht unerwartet kam, ist es dennoch schwer zu ertragen, dass die Kirche, die sich dem Schutz der Schwächsten verschrieben hat, hier so versagte. Trotz des Leids und der Belastung, die die Aufarbeitung auslöst, ist es gut, dass das Geschehene nun ans Licht kommt und für die Betroffenen hoffentlich ein Heilungsprozess möglich ist.

Ist das möglicherweise erst die Spitze des Eisbergs?

Die jetzt vorliegenden Ergebnisse sind diejenigen eines einjährigen Pilotprojekts zur Erforschung des sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz seit den 1950er-Jahren, welche die kirchlichen Institutionen 2021 in Auftrag gaben. Diese unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung wird nun in einem dreijährigen Forschungsprojekt (2024–2026) fortgesetzt. Es ist vor diesem Hintergrund leider davon auszugehen, dass weitere Missbrauchsfälle entdeckt werden.

Im Artikel «Blutende Wunden» in den «Schaffhauser Nachrichten» vom 18. September wird Renata Jeker von der Solothurner Fachstelle für Kirchenmusik zitiert, die sagte: «Ich arbeite in der Kirche, ich weiss, was hier läuft». Sehen Sie das auch so illusionslos?

Nein. Aber die hierarchischen Machtstrukturen in der römisch-katholischen Kirche und ein falsch verstandenes Priesterbild haben – insbesondere in der Vergangenheit, teilweise wohl leider bis heute – Grenzverletzungen, Missbrauch und Vertuschung begünstigt. Es ist ein Kulturwandel nötig, um das künftig zu verhindern.

Ist Schaffhausen von Missbrauchsfällen verschont geblieben?

Ich habe keine Kenntnisse von Missbrauchsfällen in der römisch-katholischen Kirche in Schaffhausen, kann aber selbstverständlich nicht ausschliessen, dass es je zu solchen Vorfällen gekommen ist.

Was für Aufgaben kommen nun auf den Synodalrat Schaffhausen, insbesondere auf Sie als dessen Präsidenten, zu?

Die römisch-katholische Landeskirche des Kantons Schaffhausen und die Kirchgemeinden sind aufgrund der Kirchenstrukturen zuständig für die Anstellung von Priestern und weiteren kirchlichen Mitarbeitenden. Damit kommt ihnen – neben dem Bischof – eine Mitverantwortung für die Auswahl, Führung und gegebenenfalls Entlassung der Mitarbeitenden zu. Es gilt die im bestehenden «Schutzkonzept Prävention und Intervention im Bistum Basel» vorgesehenen Massnahmen –namentlich bei Neuanstellungen die Einholung von Strafregisterauszügen, Referenzen und einer Selbstverpflichtung zur Befolgung der Richtlinien zum Schutz der sexuellen Integrität, sowie obligatorische Kurse zum Thema Nähe und Distanz – und auch die auf nationaler Ebene neu beschlossenen Massnahmen konsequent umzusetzen. Zur Vermeidung von Missbrauchsfällen ist insbesondere das Personalwesen zu professionalisieren und der Informationsaustausch zwischen dem Bischof und den Anstellungsbehörden zu verbessern.

Wird in Archiven und Dokumenten nach Indizien gesucht, um allenfalls vertuschte Fälle aufzudecken? Wäre das rechtlich sinnvoll?

Die kirchlichen Institutionen haben sich bewusst dazu entschieden, die Geschichte des sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz nicht selbst aufzuarbeiten, sondern von unabhängiger Seite wissenschaftlich erforschen zu lassen. Auch die römisch-katholische Landeskirche des Kantons Schaffhausen hat sich hierfür verpflichtet, keine Akten zu vernichten, welche in irgendeiner Weise Grenzverletzungen oder mögliche Sexualstraftaten beziehungsweise den Umgang mit Tätern oder beschuldigten Personen dokumentieren.

Noch einmal zum Recht: Kann ein Priester, der sich eines Missbrauchs schuldig gemacht hat, rechtlich belangt werden, wenn er seinem Bischof seine Tat beichtet?

Priester unterstehen dem Berufsgeheimnis, dessen Verletzung gemäss Art. 321 StGB einen Straftatbestand darstellt. Die Frage einer allfälligen Aufhebung des Beichtgeheimnisses unter kanonischem (kirchlichem) Recht kann ich Ihnen mangels Fachwissen leider nicht beantworten.

Was raten Sie katholischen Gemeindegliedern, die allenfalls unentdeckte Missbrauchsopfer sind?

Betroffene sollten unverzüglich bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft Strafanzeige einreichen. Sie können sich zur Beratung auch an eine Opferhilfestelle – in Schaffhausen ist das die Fachstelle für Gewaltbetroffene – oder an die unabhängige Koordinationsperson, die offizielle Meldestelle für sexuelle Übergriffe im Bistum Basel, wenden.

Im Synodalrat Schaffhausen ist das Ressort Katechese, Jugend und Ökumene vakant. Was bedeutet das für die Jugendarbeit? Wann wird diese Stelle wieder besetzt?

Das Ressort ist aufgrund des Weggangs von Pfarrer Urs Elsener seit Kurzem vakant. Der Synodalrat wird der Synode, das ist das Kirchenparlament, voraussichtlich seinen Nachfolger zur Wahl in den Synodalrat vorschlagen. Die Ressorts werden übergangsmässig von den übrigen Synodalratsmitgliedern betreut. Die Jugendarbeit ist zudem über die kantonale Jugendkommission und die für die Jugendarbeit zuständigen Personen in den Kirchgemeinden sichergestellt.

Haben Sie persönlich spontane Reaktionen auf die Veröffentlichung der erwähnten Studie bekommen?

Viele sind selbstredend tief betroffen und verunsichert. Es ist gerade für die in der Seelsorge Tätigen und die kirchlichen Behördenmitglieder wichtig, sich über die Erkenntnisse der Studie auszutauschen und gemeinsam nach Möglichkeiten zu suchen, im eigenen Wirkungskreis tätig zu werden, um zur Vermeidung künftiger Missbrauchsfälle beizutragen.

Haben Sie je daran gedacht, Ihr Amt als Präsident des Synodalrats aus Protest niederzulegen oder gar aus der römisch-katholischen Kirche auszutreten, und wenn nein, warum nicht?

Die römisch-katholische Kirche ist meine religiöse Heimat. Nur innerhalb der Kirche kann ich mich für einen Wandel einsetzen.

(Publiziert mit freundlicher Genehmigung der Schaffhauser Nachrichten)

Andreas Textor
Quelle: Andreas Textor
Andreas Textor - Präsident des Synodalrates